Unser Glossar des Globalen Lernens


Empowerment
Empowerment („Ermächtigung“) steht für einen Prozess, in dem Menschen stärkeren Einfluss und mehr Kontrolle über die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse erhalten. Konkret geht es also um Selbstbestimmung, Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe. Innerhalb der politischen und sozialen Arbeit sollen Menschen deshalb dahingehend unterstützt werden, dass sie beispielsweise gleichberechtigte Kontrolle über Entscheidungen, Rechte, Politik oder Ressourcen erhalten.

Entwicklung
Der Begriff Entwicklung bezieht sich auf unterschiedliche historische, soziale und ökonomische Wandlungsprozesse von Gesellschaften und Ländern und ist nicht eindeutig definiert. Es geht z.B. um die Frage, wie Menschen in Gesellschaften zusammenleben, wie sie Güter produzieren und welcher Lebensstandard ermöglicht ist. In der Entwicklungszusammenarbeit wird häufig ein eurozentrischer Entwicklungsbegriff verwendet, der sich auf den Prozess eines kapitalistischen gesellschaftlichen Wandels bezieht. Dadurch wird der Entwicklungsweg industrialisierter Länder des Globalen Nordens als „richtig“ oder „besser“ gedeutet – obwohl Gesellschaften sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickeln können, die alle verschiedene Vor- und Nachteile haben können. Wer entscheidet, welcher Weg der richtige ist? Und welche Gesellschaft weiter „entwickelt“ ist?

Entwicklungs- und Wirtschafts-Indizes
Es gibt verschiedene Indizes, die Wirtschaftsleistungen und den Entwicklungsrang von Ländern messen sollen. Viele der Entwicklungs-Indizes basieren allerdings vor allem auf den Wirtschafts-Indizes. Bruttoinlandsprodukt (BIP): Das Bruttoinlandsprodukt gibt den Gesamtwert aller real produzierten Güter (nach Abzug von Vorleistungen) eines Jahres innerhalb eines Landes an. Die prozentuale Veränderung des BIPs zum Vorjahr gibt das Wirtschaftswachstum eines Landes an. Um die BIPs verschiedener Länder miteinander zu vergleichen, wird das BIP pro Kopf gebildet, das den materiellen Wohlstand eines Landes aufzeigt. Genuine Progress Indicator (GPI): Der GPI ähnelt dem BIP, bezieht jedoch als weiteren Faktor die Nachhaltigkeit mit ein. Wenn die Wirtschaftsleistung eines Landes mit beispielsweise Umweltschäden oder schlechterer Gesundheit der Bevölkerung einhergeht, wird diese über den GPI als schlechter bewertet.

Gini-Koeffizient:
Der Gini-Koeffizient gibt die Ungleichverteilung von Einkommen in Regionen oder Ländern an. Ein niedriger Gini-Index gibt eine gleiche Einkommensverteilung an, ein hoher Gini-Index zeigt eine ungleiche Einkommensverteilung. Human Developement Index (HDI): Der HDI wird jährlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlicht. Die Berechnung basiert auf dem Bruttonationaleinkommen pro Kopf, der Lebenserwartung und einem Bildungsindex. Der HDI nimmt somit eine Perspektive ein, die sich vor allem auf (ökonomische) Maßstäbe des Globalen Nordens bezieht. Social Progress Index: Der Social Progress Index bildet einen eher alternativen Wohlstands- Index ab. Hier spielen Indikatoren wie Sicherheit und Freiheit, Gesundheit und Bildung sowie Nachhaltigkeit eine Rolle. Die Europäische Union nutzt einen solchen alternativen Index: den EU Social Progress Index.

Entwicklungszusammenarbeit
In der aktuellen Entwicklungszusammenarbeit arbeiten meistens Länder aus dem Globalen Norden mit Ländern aus dem Globalen Süden zusammen, um gemeinsam soziale, ökologische und wirtschaftliche Fortschritte zu erreichen. Im Gegensatz zur akuten „Humanitären Hilfe“ geht es in der Entwicklungszusammenarbeit um langfristige Ziele und Veränderungen. Die Zusammenarbeit soll dabei nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ gestaltet werden. Früher wurde der Begriff „Entwicklungshilfe“ verwendet, dieser impliziert jedoch die Abhängigkeit des einen und die Überlegenheit des anderen Partners und ist deswegen kritisch zu sehen. Die „Entwicklungszusammenarbeit“ setzt dagegen eine gleichberechtigte, respektvolle Partnerschaft voraus. Viele Projekte der Entwicklungszusammenarbeit müssen kritisch hinterfragt werden, da sie negative Konsequenzen haben können. Es ist problematisch, wenn Programme die Erwartungen und Anforderungen eines Partners nicht berücksichtigen und nicht dem Grundsatz einer gleichberechtigten Partnerschaft nachkommen, eine Form der (finanziellen) Abhängigkeit aufrechterhalten wird oder wenn traditionelle Strukturen und soziale Systeme zerstört werden… In diesem Sinne muss in der Entwicklungszusammenarbeit immer hinterfragt werden, inwiefern noch Strukturen oder Gedankengut bestehen, die Abhängigkeit und Überlegenheit implizieren.

Globaler Süden, Globaler Norden
Beide Begriffe sind nur bedingt geographisch zu verstehen. Vielmehr geht es um einen Versuch, negativ konnotierte Begriffe wie „Dritte Welt“ oder „Entwicklungsland“ zu vermeiden und stattdessen wertfreie Bezeichnungen zu finden, die eine globale gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Position verdeutlichen. Länder des Globalen
Nordens haben eine privilegiertere Position als Länder des Globalen Südens. Deutschland ist beispielsweise ein Teil des Globalen Nordens. In der Regel schlugen Länder des Globalen Nordens einen demokratisch-kapitalistischen Weg ein.

Globalisierung
Die Globalisierung bezeichnet die Entstehung einer vernetzten, verflochtenen Welt. Es gab historisch verschiedene Globalisierungswellen. Insbesondere durch technische Entwicklungen (wie z.B. neue Transportmöglichkeiten oder auch das Internet) kam es zunehmend zu einer internationalen wirtschaftlichen Verflechtung, die zahlreiche politische und kulturelle Folgen mit sich brachte. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet die wirtschaftliche Globalisierung eine „zunehmende Entstehung weltweiter Märkte für Waren, Kapital und Dienstleistungen sowie die damit verbundene internationale Verflechtung der Volkswirtschaften. […] Hauptakteure der Globalisierung sind multinationale Unternehmen.“ Angefangen mit der Kolonialisierung ist die Globalisierung auch eine Geschichte der Ausbeutung des Globalen Südens, die bis heute anhält. Dass heute in Ländern des Globalen Südens Preise für Ressourcen unten gehalten werden oder Menschen zu unfairen Arbeitsbedingungen mit zu niedrigen Löhnen arbeiten müssen, sind nur Beispiele dafür.

Humanitäre Hilfe
Laut dem Auswärtigen Amt unterstützt die „Humanitäre Hilfe“ Menschen, die „durch Naturkatastrophen, Epidemien oder Konflikte in Gefahr oder bereits in akute Not geraten sind.“ Dazu zählen die Sofort-, Not- und Übergangshilfe, die Katastrophenvorsorge und humanitäre Minen- und Kampfmittelräumung.

Informeller Sektor
Im informellen Sektor (auch Schattenwirtschaft genannt) finden wirtschaftliche Aktivitäten statt, die nicht offiziell erfasst oder staatlich kontrolliert werden. Straßenverkäufer*innen arbeiten beispielsweise überwiegend im informellen Sektor. Die Betroffenen erhalten keinen staatlichen Arbeitnehmer*innenschutz und haben oftmals unsichere Einkommensperspektiven. In zahlreichen Ländern des Globalen Südens ist der informelle Sektor stark ausgeprägt.

Kolonialisierung
Die Kolonialisierung hat zu großen Ungleichheiten auf der Welt geführt: Länder des Globalen Nordens haben ihren Wohlstand nur aufgrund der Unterdrückung und Ausbeutung der Länder des Globalen Südens aufbauen können. Die Zeit der Kolonialisierung ist zwar ungefähr seit Beginn der 1960er Jahre vorbei, dennoch gibt es weiterhin neo- oder postkoloniale Strukturen, in denen reiche Industriestaaten versuchen, die Kontrolle über Ressourcen, Märkte oder auch die Politik von Ländern aus dem globalen Süden aufrechtzuerhalten. „Was also ist Kolonialismus? Die herkömmlichen Definitionen betonen dreierlei: erstens ein territorial bestimmtes Herrschaftsverhältnis – das unterscheidet Kolonialismus von dem breiteren Begriff des Imperialismus, der auch Formen der informellen Steuerung ohne Ansprüche auf Gebietsherrschaft mit einschließt; zweitens die Fremdherrschaft, die dadurch charakterisiert ist, dass kolonisierende und kolonisierte Gesellschaften unterschiedliche soziale Ordnungen aufweisen und auf eine je eigene Geschichte zurückblicken; drittens schließlich die Vorstellung seitens der Kolonisatoren, dass beide Gesellschaften durch einen unterschiedlichen Entwicklungsstand voneinander getrennt sind.“ (Bundeszentrale für politische Bildung) Die Kolonialzeit hat ihre Spuren in der Welt hinterlassen und die Aufarbeitung dieser Zeit müsste stärker anvisiert werde. Dazu gehört auch, dass beispielsweise europäische Museen geraubte Kunst restituieren oder deutsche Städte ihre alten, kolonialen Straßennamen entfernen.

Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist nicht nur als ökologisches Prinzip für uns wichtig, sondern im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit auch im Sinne einer „längere Zeit anhaltenden Wirkung“. Zusammenarbeit sollte langfristig denken und keine Abhängigkeiten erzeugen.

„Poverty Porn“
Der Begriff Poverty Porn beschreibt, wie die Spendenbereitschaft potentieller Spender*innen durch eine gezielte Darstellung erhöht werden soll: Verhältnisse eines Ortes werden nicht mehr repräsentativ dargestellt, sondern so überhöht, dass ein Bild von krassen Missständen oder übertriebener Armut erzeugt wird. Dabei werden oft Klischees und Vorurteile über bestimmte Regionen, Länder oder Bevölkerungsgruppen bedient, wodurch diese sich nur festigen.

Rassismus
Die Amadeu Antonio Stiftung schreibt: „Rassismus ist eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion abwertet. In Deutschland betrifft das nicht-weiße Menschen – jene, die als nicht-deutsch, also vermeintlich nicht wirklich zugehörig angesehen werden. Wenn Menschen nicht nach ihren individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften oder danach, was sie persönlich tun, sondern als Teil einer vermeintlich homogenen Gruppe beurteilt und abgewertet werden, dann ist das Rassismus.“
Rassismus ist ein komplexes Phänomen mit weitreichender Geschichte – bereits vor dem Zeitalter der Aufklärung gab es rassistische Bilder und Handlungen. Auch die Kolonialisierung gründete auf einer rassistischen Weltanschauung der kolonialisierenden Europäer*innen. Rassismus ist heute vor allem ein strukturelles Problem, ein gesellschaftliches Verhältnis und Ausdruck von Machtbeziehungen. Für die Betroffenen bedeutet Rassismus häufig, dass Einschränkungen im Alltag entstehen, weil sich die Diskriminierungen auf Chancen im Leben auswirken. Betroffen sind vor allem Schwarze Menschen, jüdische Menschen, Sinti und Roma oder muslimische Menschen.

Spenden
Bei Spenden muss stets ein vorsichtiges, überlegtes Vorgehen das Ziel sein, denn Spenden können Konflikte verursachen oder Abhängigkeiten verstärken. Um das zu vermeiden, sollte der Spendenzweck von den Beteiligten genau definiert werden, Wünsche und Erwartungen sollten formuliert und respektiert werden. In einer Nord-Süd-Partnerschaft gibt es nahezu immer ein ungleiches finanzielles „Machtverhältnis“. Das ist problematisch und muss reflektiert werden, denn der finanziell stärkere Partner sollte keine weiter reichenden Entscheidungsbefugnisse oder Beeinflussungsmöglichkeiten haben – schließlich wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe angestrebt. Sich dieser Verhältnisse bewusst zu werden und die Kommunikation zu stärken ist dabei sehr wichtig.

„Voluntourism“ und Freiwilligendienste
„Voluntourism“ bezeichnet eine Mischung aus Volunteering und Tourismus. Der Begriff wird vielfach von Organisationen für Werbezwecke verwendet, doch in ihm schwingt bereits eine Kritik mit: Junge Freiwillige sind häufig doch eher Tourist*innen, als dass sie wirklich sinnvoll in einem Projekt mitarbeiten könnten. Vielfach fehlen den jungen Freiwilligen die Qualifikationen, sie lassen weiteren Arbeitsaufwand in den Projekten entstehen, da sie betreut werden müssen und manchmal wird einer einheimische Person die Gelegenheit eines Jobs genommen, wenn die Stelle stattdessen mit einer freiwilligen Person besetzt wird. Andererseits haben Freiwilligendienste auch ihre schönen Seiten: Beispielsweise wird das Programm weltwärts des BMZ als „Lerndienst“ definiert. Die Freiwilligen sollen sich während ihres Freiwilligendienstes und der begleitenden Seminare mit ihrer eigenen Position sowie globalen Strukturen auseinandersetzen. Sie machen wertvolle Erfahrungen, die ihnen Reflexion ermöglichen und der interkulturelle Austausch wird gefördert. Um einen Freiwilligendienst zu bewerten, kommt es somit immer auf den konkreten, einzelnen Fall an.
Doch Freiwilligendienste sind auch eine Frage der Perspektive: Das weltwärts-Programm ist eines der wenigen Programme, mit dem Menschen aus dem Globalen Süden ein Jahr in Deutschland und umgekehrt Menschen aus Deutschland ein Jahr um Globalen Süden verbringen können. Andere Programme entsenden Freiwillige ausschließlich in den Globalen Süden, dies ist ein strukturelles Problem. Die Politikwissenschaftlerin Olivia Umurerwa Rutanzibwa konstatiert, dass die Entsendung junger Freiwilliger nur einer der Ausdrücke der rassistischen Beziehungen ist, die zwischen dem Globalen Norden und Süden anhalten. Sie stellt in Frage, wieso junge Menschen aus dem Westen, die gerade in den Zwanzigern und ohne Erfahrung sind, beispielsweise in afrikanische Länder geschickt werden.

White Privilege und Critical Whiteness
Die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge definiert „White Privilege“ kurz und bündig mit der „Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus“ (in „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“). Das Konzept „Critical Whiteness“ soll Weißen ihre unbewussten Privilegien aufzeigen, ihr Weiß-Sein also kritisch hinterfragen.

White Savior Complex
Der „White Savior Complex“ beschreibt das Phänomen, dass weiße Menschen aus dem globalen Norden in den Globalen Süden gehen, „um etwas Gutes zu bewirken“ – weil sie glauben, dass sie als „Weiße“ etwas besser könnten. Das könnte beispielsweise eine Abiturientin sein, die mit ihrem Freiwilligendienst „helfen“ möchte ohne entsprechende Qualifikationen für ihren Freiwilligendienst, z.b. eine Berufsausbildung, mitzubringen. Grundlegend sollte sich jede Person die Frage stellen, mit welcher Intention und mit welchen Fähigkeiten sie zum Handeln qualifiziert ist, und ob ihr Handeln überhaupt erwünscht ist.